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Das Porzellanmuseum im Augarten erzählt die faszinierende Kultur- und Designgeschichte des Wiener Porzellans seit 1718. Ein originaler Brennofen steht als Symbol für die „geheime Kunst“ der Porzellanherstellung, und Sonderausstellungen laden zur Zeitreise zwischen Tradition und Zukunft ein.
Der Augarten entstand 1614 als Jagdgebiet unter Kaiser Matthias
(1557-1619) in damals noch unberührter Aulandschaft. Kaiser Leopold I.
(1640-1705) ließ 1677 zum bestehenden Schloss einen barocken Garten
anlegen, beides wurde jedoch während der zweiten Türkenbelagerrung 1683
zerstört. 1705 wurde das Schloss unter Kaiser Joseph I. (1678-1711)
wieder aufgebaut und die Neugestaltung des Gartens dem begehrten
französischen Gartenarchitekten Jean Trehet anvertraut. Das neu
errichtete Gartengebäude als Trakt des Schlosses beherbergt seit 1923
die Produktion der Wiener Porzellanmanufaktur.
Bereits 1775 wurde der Park unter Joseph II. (1741-1790) der
Öffentlichkeit zugänglich gemacht, aus diesem Anlass setzte man unter
Schutz gestellte Nachtigallen aus. Seit 1782 leitete Wolfgang Amadeus
Mozart Morgenkonzerte in diesem Gebäude, auch Franz Schubert und Johann
Strauß musizierten hier. Während der Napoleonischen Kriege (1806/1809)
diente das Schloss, wie auch später im Ersten Weltkrieg, als Spital. Im
Jahr 1896 wurde unter dem k.k. Gartenbaudirektor Anton Umlauft das
Parterre vor dem Schloss neu gestaltet. Seit 1928 ist der Augarten in
städtischem Besitz und steht seit 2000 unter Denkmalschutz. Heute
erzählt der Park von den Entwicklungen des 20. Jahrhunderts: 1944
wurden zwei Flaktürme errichtet, die als Mahnmal erhalten sind; 1955
wurde das Bildhaueratelier für Gustinus Ambrosi eingerichtet und
verschiedene städtische Anlagen zum Nutzen und Vergnügen der
Bevölkerung Wiens geschaffen.
Das Saalgebäude untersteht der Burghauptmannschaft, der 52 Hektar große
Garten wird heute von den Bundesgärten betreut. Die Porzellanmanufaktur
selbst ist seit 2003 in Privatbesitz. Ziel der umfangreichen
Revitalisierung ist neben der Erhaltung historischer Bausubstanz vor
allem das Weiterführen einer bedeutenden Tradition, der
Porzellanerzeugung in Wien.
In China wird Porzellan seit Beginn der Sui Dynastie (581-618 n.Chr.)
hergestellt. Im 13. Jahrhundert gelangten erste Objekte nach Europa.
Händler und Missionare, die sich bis nach China wagten, berichteten von
den Kunstfertigkeiten der dortigen Einwohner und schürten das Verlangen
nach der seltsamen Kostbarkeit. Chinesische Porzellane zierten fortan
die Wunderkammern europäischer Fürsten, deren Alchemisten nach dem
Geheimnis ihrer Herstellung suchten.
Im 16. Jahrhundert wurde in den Laboratorien des Großherzogs Francesco
I. de Medici in Florenz erstmals ein Weichporzellan entwickelt, das
Medici-Porzellan. Die Erfindung eines echten, dem chinesischen
Porzellan in seinen Eigenschaften ähnlichen Hartporzellans gelang
Johann Friedrich Böttger im Dezember 1707 in Dresden. Er war von August
dem Starken als Goldmacher verpflichtet und dem Universalgelehrten
Ehrenfried Walther von Tschirnhaus, der bereits mit Porzellanrezepturen
experimentierte, zur Seite gestellt worden. Gottfried Pabst von Ohain,
ein sächsischer Bergbaubeamter, entdeckte schließlich den Nutzen des
Kaolins, der weißen Tonerde. 1710 wurde die Meißner Porzellanmanufaktur
gegründet. Bei Verrat des Arkanums drohten harte Strafen, doch
triumphierte die Abenteuerlust und das Wissen um das echte Porzellan
verbreitete sich unaufhaltsam. Bereits 1718 entstand die zweite
Manufaktur Europas in Wien als privates Unternehmen. Eine neue Kunst,
die zum Sinnbild des phantasiebegabten 18. Jahrhunderts werden sollte,
zog damit in den kaiserlichen Hof ein.
DAS ARKANUM DES PORZELLANS
Drei Bestandteile sind es, die echtes Porzellan ausmachen: 50% der
weißen Tonerde Kaolin, benannt nach dem chinesischen Berg Gao Ling,
dazu 25% Quarz und 25% Feldspat als Magerungs- bzw. Flussmittel. Je
nach Manufaktur gibt es Varianten mit wenig Feldspat und mit
Calciumzusatz und anderen Ingredienzien, die den Weißegrad des
Porzellans beeinflussen. Die Bestandteile werden mit Wasser geschlämmt,
die Masse wird gerührt, geschlagen und über Monate gelagert. Erst dann
kann unter Verwendung von Gipsformen überdreht, eingedreht und gegossen
oder frei modelliert werden. Die so entstandenen Objekte werden an der
Luft zu einem „lederharten" Zustand getrocknet. Endlich wird der
„Rohling" in den Brennofen gesetzt. Der bis zu zwanzig Stunden dauernde
Schrüh- oder Verglühbrand bei 900 bis 1000° C verwandelt den Rohling in
den sogenannten Scherben. Porös und fragil wird er nun vorsichtig in
die Glasur getaucht oder zuvor mit Unterglasurfarben bemalt.
Vor der Glasur wird auch die Marke angebracht. Der folgende Glattbrand
bei ungefähr 1400°C dient dem Sintern der Substanzen. Durch die enorme
Hitze verschmelzen die Bestandteile des Scherbens, echtes Hartporzellan
mit seiner hohen Dichte entsteht, wobei mit einem Schwund von bis zu
20% zu rechnen ist. Physikalisch betrachtet ist es jetzt härter als
Stahl. Auch die Glasur selbst wird in diesem Brand mit dem Scherben
verschmolzen. Danach können mit Feder und Pinsel Farben aufgetragen
werden, auch sie werden in einem oder mehreren Muffel- oder
Dekorbränden bei circa 900°C auf die Glasur geschmolzen. Für
Vergoldungen wird Goldstaub mit Nelkenöl vermischt aufgetragen und bei
etwa 700°C gebrannt.
DIE MANUFAKTUR DU PAQUIER 1718-1744
Die erste Wiener Porzellanmanufaktur wurde 1718 von dem
Hofkriegsratsagenten Claudius Innocentius du Paquier mit kaiserlichem
Privileg gegründet. Das Geheimnis der Porzellanherstellung hatte du
Paquier dem Meißner Arkanisten Samuel Stöltzel entlockt, den er aus der
kursächsischen Manufaktur abgeworben hatte. Auch der Goldarbeiter
Christoph Conrad Hunger sowie der Porzellanmaler Johann Gregorius
Höroldt gehörten zu den Mitarbeitern der ersten Stunde. Stöltzel
flüchtete jedoch in Begleitung Höroldts nach Sachsen zurück, nachdem er
die Wiener Manufaktur verwüstet hatte, um sie als den damals noch
einzigen Konkurrenten Meißens unschädlich zu machen. Du Paquier
verlegte das Unternehmen kurzerhand 1721 in das Gräflich Bräuner´sche
Sommerhaus in der heutigen Porzellangasse. In unmittelbarer
Nachbarschaft des Rossauer Sommerpalais der Fürsten von Liechtenstein,
die zu den ersten Auftraggebern du Paquiers zählten, entstanden die
charakteristischen Porzellane in der lustvollen Formensprache des
Barock. Die Künstler und Handwerker bei Du Paquier nahmen Anleihen aus
der zeitgenössischen Ornamentik, wie dem Laub- und Bandelwerk, aber
auch aus ostasiatischen Vorbildern, die ihnen von den adeligen
Auftraggebern zur Nachahmung überlassen wurden.
Den Modegetränken Kaffee, Tee und Schokolade wurde durch das neue
Luxusmaterial Porzellan ideal gedient. Die Trembleuse, ein
Schokoladenbecher, der in einem Untersatz mit Galerie gesichert steht,
war eine geniale Schöpfung für das vergnügliche wie repräsentative
Frühstück im Bett, wie man es im 18. Jahrhundert schätzte.
Der „Erste Erfünder" des Wiener Porzellans, Claudius Innocentius du
Paquier, verstarb 1751.
DIE KAISERLICHE MANUFAKTUR UNTER MARIA THERESIA
Die lebenslustige Erzherzogin Maria Theresia (1717-1780) übernahm die
Manufaktur Du Paquier am 10. Mai 1744. Als Marke des kaiserlichen
Wiener Porzellans wurde der Bindenschild der Babenberger eingeführt,
zunächst als Pressmarke, ab 1750 in Unterglasurblau.
Ein neuer Kunstschmack, de goût rocaille, brachte kühne Kreationen aus
fließenden asymmetrischen Formen hervor. Diesem standen naturalistische
Tendenzen gegenüber, wie etwa botanisch korrekte Porzellanblüten und
volkstümliche Charakterfiguren.
Porzellan zierte die höfische Privatheit auf seine feine Art. So diente
ein Bourdalou den Damen elegant für ihre
persönlichen Bedürfnisse. Benannt nach einem französischen Hofprediger,
an dessen eloquenten Lippen die Damen
in der Kirche hingen und keine Silbe der stundenlangen Predigten
verpassen wollten, schrieb dieses Gefäß für die intime Bequemlichkeit
Porzellangeschichte.
Porzellanplastik war ein zentrales Thema der Epoche. Bildhauer, wie
Johann Joseph Niedermayer und Ludwig Lücke, wurden zu Modellmeistern
der Manufaktur. Auch Hofzuckerbäcker und Theateringenieure prägten die
Gestaltung der dekorativen „Gesellschaften" aus Porzellan, die als
vielfigurige Tafelaufsätze für den Dessertgang zum Einsatz kamen. Sie
waren ein Abbild der höfischen Gesellschaft und ihrer Divertissements,
aber auch einer Welt außerhalb der Palaismauern, wie Kaufrufe und
anderes Straßenvolk, das ein neu erwachtes Interesse an den Strukturen
der Welt dokumentiert.
Um 1770 zeigten sich erste klassizistische Einflüsse nach französischem
Vorbild in der sich wandelnden Produktion der Wiener Manufaktur.
DIE ENTSTEHUNG EINER PORZELLANFIGUR
Die Herstellung von Porzellanfiguren gehört zu den aufwändigsten
Prozessen der Porzellanproduktion. Eine Figur besteht aus vielen
Einzelteilen, deren möglichst ökonomischer und umsetzbarer Aufbau der
Modelleur in seinem Entwurf bedenken muss. Für jedes Einzelteil einer
Figur wird eine Gipsform hergestellt, die Porzellanmasse wird
eingegossen und getrocknet. Die Arbeit des Bossierers ist es dann, die
Teile zusammenzufügen und nachzuarbeiten, sodass Nähte und Fugen nicht
mehr sichtbar sind. Während des Brandes sind die Figuren einer
besonderen Gefahr ausgesetzt, durch die Schmelzvorgänge werden sie
instabil und müssen daher im Brand von Stützen aus Porzellanmasse, den
sogenannten Pomsen, gehalten werden. Wie bei der Produktion von
Gefäßen, werden auch die Figuren dem Verglüh- und Schrühbrand
ausgesetzt, bevor die Glasur und danach der Glattbrand folgen. Dann
kann dekoriert werden. Malerische Akzente, die Staffierung, werden bei
den Figuren ebenfalls in Muffelbränden aufgeschmolzen. Goldhöhungen
werden mit einem Gemisch aus Goldpulver und Nelkenöl ausgeführt, das
nach dem Brand mit Achatsteinen oder Meeressand zu glänzendem Aussehen
poliert wird.
Gerade die Figuren der „Plastischen Periode" des Wiener Porzellans
unter Maria Theresia aus der Mitte des 18. Jahrhunderts sind heute
wertvolle Zeugnisse des Alltags- und Hoflebens. Die Kostüme, Gesten und
Tätigkeiten, aber auch der Gesichtsausdruck, der durch die Staffierung
besonders zum Ausdruck kommt, geben wichtige Informationen über die
Gepflogenheiten einer Epoche. Von der Lippenfülle bis zur Augenfarbe,
dem Lächeln oder der Brauenfaçon sind Ideale verschiedener Epochen
besonders gut lesbar.
KLASSIZISMUS - DIE ÄRA SORGENTHAL
Kaiser Joseph II. konzentrierte sich nach dem Ableben seiner Mutter
Maria Theresia im Jahr 1780 auf soziale Reformen im Sinne der
Aufklärung. Feste, Prunk und Pracht bedeuteten ihm wenig. Sein
Beschluss, die unwirtschaftliche Porzellanmanufaktur zu veräußern,
wurde 1783 von den Mitarbeitern der Manufaktur abgewendet. Ein neuer
Direktor, Conrad von Sorgenthal (1733-1805), führte die Wiener
Porzellanproduktion zu einer künstlerischen und ökonomischen Hochblüte.
Die Künstler wurden akademisch ausgebildet und in Wettbewerben zu
Neuschöpfungen inspiriert. Als Vorbild galt die Antike mit ihren klaren
Formen, feingliedrigen Ornamenten und lehrreichen Mythologien. Auch die
Produkte der königlich-französischen Manufaktur von Sèvres und die
englische Manufaktur Wedgwood beeinflussten die Ästhetik der
klassizistischen Porzellane aus Wien. Die Reiselust der Zeit um 1800
spiegelt sich ebenfalls in den Kaffeetassen und Déjeuners, den
typischen Frühstücksservicen mit ihren Ansichten der Sehenswürdigkeiten
Wiens, italienischer Landschaften und der Alpen. In der plastischen
Produktion standen antikisierende Figuren aus unglasiertem
Biskuitporzellan im Mittelpunkt, dessen matte Oberfläche an antiken
Marmor erinnert. Weiterhin dienten die Figuren in symmetrischer
Aufstellung und nach einem thematischen Programm der Dekoration von
Desserttafeln. Als Modellmeister brillierte Anton Grassi (1755-1807),
ein Schüler von Franz Xaver Messerschmidt an der Wiener Akademie. Zur
Qualitätskontrolle der höchst anspruchsvollen „Prachtware" führte
Sorgenthal Jahresstempel, Bossierer- und Malernummern ein. Die
Herstellung des „ordinairen" Gebrauchsgeschirrs wurde 1798 in das
Hilfswerk Engel hardtszell bei Passau ausgelagert.
DIE NEUE FARBIGKEIT
Die Wiener Porzellanmanufaktur wurde für den Reichtum ihrer Farbpalette
bewundert. Bereits 1787 richtete man ein Laboratorium ein, in dem der
Arkanist Joseph Leithner neue Farbtöne kreierte oder bestehende Nuancen
verfeinerte, wie das nach ihm benannte tiefe Leithnerblau auf
Kobaltbasis. Der Chemiker verbesserte zudem die Goldzubereitung für das
berühmte Wiener Goldrelief, das in vielen Schichten mit dem Pinsel
aufgetragen wurde. Die starke Farbigkeit und die ungewöhnlichen
Farbklänge wurden von antiken Wandmalereien aus Pompeji und Herculaneum
oder ihren Epigonen der Renaissance, wie den oft imitierten Wanddekoren
von Raffael, übernommen. Auch die Blumenmalerei und die Gemäldekopie
erfuhren in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt
und lebten von der leuchtenden Farbigkeit. Die in der Feinmalerei
hervorragend ausgebildeten Künstler der Manufaktur konnten aus 36
mischbaren Hauptfarben wählen. Der Chemieprofessor und spätere
Manufakturdirektor Benjamin von Scholz schrieb 1819: „Eine vorzügliche
Schwierigkeit bei Kunstgemälden auf Porzellan besteht darin, dass die
meisten Farben sich im Feuer verändern und der Künstler also den Effect
seiner Arbeit nicht sogleich während des Fortganges derselben
beurtheilen kann, sondern mit der Phantasie voranschreiten und sich
vorstellen muß, in welchem Zustande sein Werk aus dem Feuer kommen
wird. Deswegen ist für die Porzellanmalerei eine besondere
Künstlerschule nothwendig... Manchmal gehen ganz fertige Kunstarbeiten,
woran die Künstler Monate lang gearbeitet haben, im letzten Emailfeuer
zu Grunde...".
DIE KAISERLICHE MANUFAKTUR IM BIEDERMEIER
Ganz dem Empfinden der Zeit nach dem Wiener Kongress 1814/15
entsprechend, gestalteten sich die Themen des Porzellans im
Biedermeier. Auf dem Rückzug in eine neue Privatheit, die den
Restriktionen des Alltags unter der Ägide des Staatskanzlers Metternich
zu entrinnen suchte, begann der Mensch des Biedermeier sich auf
persönliche Werte zu besinnen. Tassen, die mit Sinnsprüchen und
Widmungen dem Freundschaftsideal huldigten oder mit Blumenrätseln der
Angebeteten zarte Geständnisse übermittelten, gehörten zu den
beliebtesten Geschenken jener Zeit. Auf neuartigen Etagèren
ausgestellt, zeugten die Tassensammlungen von einer heilen Welt fern
aller Politik. Die Motive der Blumenmalerei entstammten vorwiegend den
Hausgärten, deren Pflege ebenfalls zu den beschaulichen Vergnügungen
des Biedermeier gehörte. Leuchtende Farben und verwegene Ornamente
gehörten zur teilweise radikalen Modernität der Zeit.
Neuheiten in der Tischkultur änderten auch das Aussehen der
Tafelaufsätze. Man servierte nicht mehr alle Speisen eines Ganges auf
der Tafel verteilt in Terrinen, wie beim „Service à la française" des
18. Jahrhunderts, sondern als „Service à la russe" wurde für jeden Gast
auf einem einzelnen Teller angerichtet. Als Aufsatz verwendete man nun
Prunkvasen mit echten Blumen während des gesamten Festessens, Figuren
waren inzwischen weitgehend aus der Mode gekommen. Zu den
bildhauerischen Aufgaben der Modellmeister gehörten vorwiegend
antikisierende Porträtbüsten berühmter Dichter oder Komponisten, aber
auch der Mitglieder des Kaiserhauses.
DIE KAISERLICHE MANUFAKTUR BIS ZU IHRER SCHLIESSUNG IM JAHR 1864
Unter Kaiser Franz Josef I. und Kaiserin Elisabeth wechselten die Moden
in historistischen Stilen, wie dem opulenten Neo-Rokoko und einer neuen
Chinoiserie. Die Manufaktur war erfolgreich auf den Weltausstellungen
vertreten und brillierte weiterhin auf dem Gebiet der Blumenmalerei und
der Gemäldekopie. 1862 erhielt die Manufaktur in London eine Medaille
für die Solidität von Masse und Glasur sowie für die hohe Qualitat der
Vergoldung. Der Architekt Gottfried Semper forderte in seiner Schrift
„Über Porzellan" (1850), dass die Form dem Material sowie einem guten
und vernünftigen Geschmack entsprechen müsse „um eine gefällige
Ausschmückung zuzulassen". Jacob von Falke schrieb 1873 zur Wiener
Weltausstellung, dass höfische Prunkobjekte der Vergangenheit
angehörten und das Porzellan auf den zweckmäßigen, wenn auch
schmückenden Gebrauch als Tafelgeschirr reduziert sei. Zugeständnisse
an neue Techniken waren notwendig, zumal die vielerorts in Böhmen
erwachsenden privaten Porzellanfabriken eine ernsthafte Konkurrenz auf
dem Gebiet der Geschirrproduktion darstellten. Sie wurden auf den
Weltausstellungen für ihre allgemein erschwinglichen Preise prämiert.
Die Zeiten einer Identität als „Kunstanstalt" schienen sich zu neigen.
Drucktechniken ersetzten vielfach eine Bemalung von Hand. Im Jahr 1864
gab Kaiser Franz Josef I. einem Antrag des Abgeordnetenhauses nach, die
K. K. Wiener Porzellanmanufaktur zu schließen. Der künstlerische
Nachlass wurde dem damaligen Museum für Kunst und Industrie übergeben.
Wenig später erkannte man die Schließung als Missgriff, doch erst 1923
wurde die Wiener Porzellanfabrik Augarten A.G. aus privater Initiative
am heutigen Standort gegründet.
MARKEN MIT ZUKUNFT HABEN EINE VERGANGENHEIT
Die Wiener Porzellanfabrik Augarten A.G. wurde zur Erneuerung und
Fortsetzung der 1864 geschlossenen K. K. Porzellanmanufaktur am 2. Mai
1923 gegründet. Mit der Idee, die bekanntesten figuralen Darstellungen
und beliebtesten Servicedekore des Wiener Porzellans aus dem
Spätbarock, Rokoko und Klassizismus wieder aufzulegen, konnte die neu
gegründete Porzellanmanufaktur schnell ein interessiertes Publikum für
sich gewinnen. Doch entstand gleichzeitig eine erfolgreiche Produktion,
die sich ganz den Kunstströmungen ihrer Zeit zuwandte. Vor allem gelang
es, zeitgenössische Entwürfe bekannter Künstler in Porzellan
umzusetzen. Zahlreiche Modelle des Art Déco haben sich als wichtige
Kulturträger jener Zeit bis heute erhalten.
Auf der Pariser Kunstgewerbeausstellung im Jahr 1925 erhielt die
Manufaktur für ihre Leistungen eine Goldmedaille. Ausgezeichnet wurden
die pastellfarben staffierte Uhr „Stadtbild" von Hertha Bucher, die
abstrahiert und farbintensiv bemalte Vase von Franz von Zülow, wie auch
die dem damaligen Schönheitsideal entsprechenden schlanken Figuren
„Erste Rosen" von Ida Schwetz-Lehmann und „Mädchen mit Faun" von Carl
Schwetz. Im Verkaufskatalog von Augarten aus dem Jahr 1926 werden diese
neuen Arbeiten, neben Neuauflagen historischer Modelle, wie Figuren der
Kaufrufe und Dekore des Rokoko und Klassizismus, als feste Bestandteile
des Angebotes geführt. Die traditionellen Serviceformen blicken mit
ihren bis heute bewährten Modellen ebenfalls in die Produktion des 18.
und 19. Jahrhunderts zurück. Neue Formen und Dekore im Zeitgeist der
Wiener Werkstätte brachten die Entwürfe von Josef Hoffmann, Michael
Powolny, Otto Prutscher und Ena Rottenberg.
MARKE MIT PERSÖNLICHKEIT
Bis heute kann die Manufaktur Augarten auf Entwürfe großer Künstler
zurückgreifen. Auf der „Jubiläumsausstellung Wiener Kunstgewerbe" im
Österreichischen Museum für Kunst und Industrie im Jahr 1924 wurden
Arbeiten von Franz Barwig, Hertha Bucher, Herma Gärtner, Otto Hofner,
Josef Humplik, Mathilde Jaksch, Kawin Karl, Mela Köhler, Dina Kuhn,
Jakob Löw, Carl Schwetz, Ida Schwetz-Lehmann, Vally Wieselthier und
Franz von Zülow gezeigt.
Walter Bosse übersetzte mit seinen vier für Augarten entworfenen
Grotesken den Zeitgeist des Art Déco in humorvoller Weise. Ab 1921 war
er bereits für die Wiener Werkstätte tätig und ist ab 1924 als
Mitarbeiter der Porzellanmanufaktur nachweisbar. Im Jahr 1925
beteiligte sich Bosse an der Pariser Kunstgewerbeausstellung.
Die Serviceformen und Dekore des bei Josef Hoffmann ausgebildeten
Architekten und Kunsthandwerkers Otto Prutscher sind eine wichtige
Visitenkarte der Manufaktur Augarten. Die für den Mitbegründer der
Wiener Werkstätte typische Verbindung von klaren, reduzierten Formen
und Dekoren mit floralen sowie geometrischen Elementen ergeben ein
reizvolles Spiel. Wie viele Künstler seiner Zeit, war Prutscher an der
Schöpfung eines Gesamtkunstwerkes interessiert. Die Gestaltung von
Porzellan für die Ausstattung zeitgenössischer Interieurs war eine
Selbstverständlichkeit in diesem Konzept.
Edwin Breideneichen mit der Malernummer 1. war von Beginn an bis 1961
als hervorragender und kreativer Maler für die Manufaktur tätig. Er
trug selbst zu unzähligen neuen Motiven für eine kreative Bemalung von
Porzellanobjekten bei.
ROLLENBILDER
Vally Wieselthier studierte ab 1914 an der Wiener Kunstgewerbeschule,
zunächst bei Koloman Moser, dann bei Josef Hoffmann und Michael
Powolny. Bereits 1917 trat sie auf Wunsch Josef Hoffmanns in die neu
gegründete Werkstatt für Keramik der Wiener Werkstätte ein, die von
Dagobert Peche geleitet wurde. 1927 wurde Vally Wieselthier selbst
Leiterin dieser Werkstatt. Mit der Expressivität ihrer Werke in Form
und Farbe beeinflusste sie das keramische Schaffen Österreichs
nachhaltig. Zwischen 1922 und 1927 führte Wieselthier ein eigenes
Atelier, in jener Zeit ist auch ihre Zusammenarbeit mit Augarten
belegt. Für die Wiener Manufaktur widmete sich die dynamische
Künstlerin dem Thema „Eitelkeit“. Im Jahr 1932 emigrierte Vally
Wieselthier nach New York.
Mathilde Jaksch entwarf individuelle Kleinplastiken, wie die Figur der
Tänzerin Tilly Losch, die ihr anlässlich der Uraufführung des von
Richard Strauss komponierten Balletts „Schlagobers" im Jahr 1924 Modell
stand, und die damalige Zusammenarbeit mit der Wiener Staatsoper
illustriert. Porzellanfiguren mit den Titeln „Venus", „Mädchen am
Strand" oder „Luft" zeigen schmale, körperbewusste Frauengestalten, wie
sie dem Zeitideal entsprachen.
Das neue Frauenbild der Zwanziger Jahre prägte auch die figürliche
Produktion der Wiener Manufaktur. Frauen kämpften um Gleichberechtigung
und begannen, von Männern dominierte Bereiche, wie Berufe und
Sportarten, zu erobern. Der Aufbruch in eine neue Identität zeigte sich
nicht nur in der Übernahme „männlicher" Moden, wie dem Pyjama und der
Zigarette, sondern auch in einer selbstbewussten Weiblichkeit.
IKONEN IN PORZELLAN
Service waren von Anfang an ein wesentlicher Schwerpunkt im
Produktprogramm der Manufaktur Augarten. Einer der bedeutendsten
Architekten jener Zeit, Josef Hoffmann, schuf 1929 mit seinem
Melonenservice, der Form Nr. 15, eine Ikone des Wiener Porzellans. Auch
Hoffmann vertrat als Mitgründer der Secession und der Wiener Werkstätte
die Idee des Gesamtkunstwerks und entwickelte einen neuen Stellenwert
des Kunstgewerbes.
Der ausgebildete Hafner sowie Absolvent und Lehrer der Wiener
Kunstgewerbeschule Michael Powolny entwarf für die Porzellanmanufaktur
Augarten einige Tierskulpturen und bauchige Serviceformen, wie etwa das
noch heute hergestellte "Opus", Form Nr. 68.
Friedrich Ludwig Berzeviczy-Pallavicini malte Motive aus einer
phantastischen Zauberwelt, in der sensibel ausge- führte exotische
Gestalten, Tiere und Pflanzen auftreten. 1936 heiratete er Klara Demel
und gestaltete das Design für die berühmte Zuckerbäckerei. Der
vielseitige, an der Kunstgewerbeschule im Bereich Mode und Textil
ausgebildete und von Josef Hoffmann geförderte Künstler arbeitete 1937
für Augarten, 1938 emigrierte er nach Italien, später in die
Vereinigten Staaten.
Ena Rottenberg, eine Schülerin Josef Hoffmanns an der
Kunstgewerbeschule, entwarf nicht nur das bekannte Service der Form Nr.
20 mit exotischen Deckelknäufen, sondern auch Vasen mit Figuren in
Biskuitrelief oder zarter figürlicher Malerei. Im Archiv der Manufaktur
haben sich Entwürfe mit ihren Initialen "E.R." erhalten.
DIE FIGUREN DER SPANISCHEN HOFREITSCHULE
Die Faszination der Pferdedressur, wie sie in der Reitschule der Wiener
Hofburg zu sehen war, inspirierte die Porzellanmanufaktur Augarten zu
einer Serie von Reiterfiguren. Der Bildhauer Albin Döbrich studierte
die spektakulären Figuren der Lipizzaner unter Führung ihrer Bereiter
und setzte sie zwischen 1926 und 1927 in fünf aufwändige
Porzellangruppen um: Trab, Courbette, In den Pilaren, Levade und
Piaffe. Weitere Modelle aus den Jahren 1925 bis 1937 stammen von der
Künstlerin Karin Jarl-Sakellarios.
Erzherzog Carl hatte im Jahr 1580 das Hofgestüt Lipizza bei Triest
gegründet, seit dem Ersten Weltkrieg befindet sich die Lipizzanerzucht
in Piber (Steiermark). Als Kreuzung von spanischen, arabischen und
Berberpferden gelten die Lipizzaner als besonders gelehrig. In den
1920er Jahren wurden öffentliche Vorführungen der hohen Reitkunst
eingerichtet, die Porzellanfiguren sollten als Erinnerungsstücke des
Besuches in der Hofreitschule, die als kaiserliche Winterreitschule
zwischen 1729 und 1735 von Joseph Emanuel Fischer von Erlach erbaut
worden war, dienen.
Ursprünglich galt die Ausbildung der Pferde ihrem Einsatz in der
Schlacht, wie auch das barocke Rossballett aus der Tradition der
„Kriegskunst" kam. Die edlen Tiere auszubilden galt als eine der
adeligen Tugenden. Als einzige Reitschule, die die napoleonischen
Kriege überdauert hatte, fungierte die Wiener Institution auch als
Maßstab zeitgemäßer Reitlehre. Wie bei allen Dekoren der Manufaktur
Augarten zeigt sich auch in den Nuancen der Staffierung der Figuren die
Änderung der Sichtweisen und Vorlieben im Verlauf des 20. Jahrhunderts
bis heute.
Dessertteller nach japanischem Vorbild
Kaiserliche Porzellanmanufaktur, Wien, 1744/49
Die Tellerfahne ist mit drei Fo-Löwen (Shishi), den Wächtern der Tempel
und Paläste sowie mit Feng Huang-Vögeln, Pinien- und Prunuszweigen
bemalt. Eisenrot, Gold sowie Kobaltblau unter der Glasur sind die
Hauptfarben des begehrten Imaridekors, der nach dem Ausfuhrhafen Imari
benannt wurde. In der Gegend von Arita begann im frühen 17. Jahrhundert
die japanische Porzellanproduktion, deren Entwicklung sich gerade im
Bereich des Imari-Dekors nach den Wünschen der europäischen Kunden
orientierte. Die Pracht des brokatartigen Imari garantierte den
Exporterfolg und inspirierte chinesische Kopien. Im 18. Jahrhundert
imitierten die ersten europäischen Manu- fakturen Imari-Porzellane nach
originalen ostasiatischen Vorbildern.
Große Schüssel aus einem Dessertservice
Manufaktur Du Paquier, Wien, um 1730
Die Schüssel in Blütenform ist mit einer Chinoiserie nach einem Stich
von Christoph Weigel, Nürnberg um 1720, und einer für die Manufaktur Du
Paquier charakteristischen Laub- und Bandelwerkbordüre dekoriert.
Dessertservice dieser Zeit bestanden aus Tellern und verschieden großen
Schüsseln für kandierte Früchte und anderes Zuckerwerk.
"Monsieur am Schreibtisch", einen Liebesbrief schreibend
Kaiserliche Porzellanmanufaktur Wien, 1744/1749
Die Figur ist einem Modell von Johann Joachim Kändler (1706-1775) für
die Meissener Manufaktur nachempfunden: "1. Figur, einen Monsieur, der
einen Liebes-Brieff schreibt vorstellend, mit der Feder in der Hand am
Tisch sitzend" (1740). Dennoch zeigt die Wiener Figur mit ihrer
reduzierten Bemalung und Monsieurs ausdrucksvollem Gesicht einen
eigenen Charakter.
Ruhender Hund
Kaiserliche Porzellanmanufaktur Wien, um 1765
Kostümiertes Paar am Toilettetisch (bunt staffiert)
Kaiserliche Porzellanmanufaktur, Wien, um 1765
Kostümiertes Paar am Toilettetisch (weiß)
Kaiserliche Porzellanmanufaktur, Wien, um 1765
Die beiden Figurengruppen stellen die Arbeitsweisen
der Bossierer und Maler vor. Details wurden nach dem Empfinden des
jeweiligen Bossierers zusammengestellt, Handhaltung und Requisiten
variieren. Auch die Bemalung ist im 18. Jahrhundert nicht einheitlich,
jede Figur ist ein Unikat. Unbemalte Figuren zeigen ihren skulpturalen
Charakter deutlicher, die kostspielige Bemalung ergänzte Figuren um
eine zusätzliche dekorative Dimension, je nach Geschmack und Finanzen
der Kundinnen und Kunden.
Dame mit Parasol und Seidenkleid mit chiné à la branche Muster
Kaiserliche Porzellanmanufaktur, Wien, um 1760
Büste Kaiser Josephs II. (1741- 1790) aus Biscuitporzellan
Modell von Anton Grassi (1755-1807) Kaiserliche Porzellanmanufaktur,
Wien, 1789
Der Reformkaiser Joseph II. öffnete 1775 den kaiserlichen Augarten für
das allgemeine Publikum. 1784 berief er auf Bitten der Mitarbeiter der
Porzellanmanufaktur den Aufklärer und Ökonom Conrad von Sorgenthal
(1733-1805) zum neuen Direktor. Sorgenthal begründete eine Ära der
künstlerischen und wirtschaftlichen Hochblüte des Wiener Porzellans.
Teller aus einem Speiseservice mit Goldreliefdekor, seegrünen Bändern
und Kornblumengirlanden
Kaiserliche Porzellanmanufaktur, Wien, um 1795
Teller mit Goldreliefdekor auf blauem Fond
Kaiserliche Porzellanmanufaktur, Wien, um 1796
Teller mit Grisaille-Büsten antiker Philosophen und Goldrelief
Kaiserliche Porzellanmanufaktur, Wien, um 1798
Teller mit Goldreliefdekor auf Kupfer- und Purpurlüsterfond
Kaiserliche Porzellanmanufaktur, Wien, um 1796
Dessertteller mit Schmetterlingen und Himmelsbögen
Maler: Leopold Parmann (tätig 1783-1816) Kaiserliche
Porzellanmanufaktur, Wien, um 1804
Der Teller ist mit verschiedenen Schmetterlingen bzw. Nachtfaltern
bemalt, darunter das schwarz-rote „Hufeisenklee-Widderchen", der gelbe,
gefleckte „Pantherspanner" und das schwarze,
weißgepunktete,,Weißfleck-Widderchen". Das Sammeln und Studieren von
Schmetterlingen gehörte zu den privaten und beschaulichen Tätigkeiten
des frühen 19. Jahrhunderts. Als dekoratives und symbolisches Element
hatte die Kunst des Klassizismus den Schmetterling aus der Antike
übernommen.
* * *
Teller mit afrikanischen Tieren und Goldrelief-Arabesken
Kaiserliche Porzellanmanufaktur, Wien, um 1805
Dieser Teller stammt aus einer Serie mit verschiedenen
Tierdarstellungen, deren Vorlagen sich im Nachlass der kaiserlichen
Porzellanmanufaktur erhalten haben (MAK, Wien). Als Entwerfer gilt
Georg Lamprecht (gest. 1828), dessen meisterhafte Tierstudien im
Tiergarten von Schönbrunn entstanden und anhand signierter Blätter und
Porzellane belegt sind. Die feinen Arabesken sind ebenfalls Lamprecht
zuzuschreiben, auch dazu sind vergleichbare signierte Entwürfe
überliefert. Lamprecht arbeitete zwischen 1779 und August 1787 in Paris
sowie an der königlichen Manufaktur in Sèvres. Dort entstand eine
Tischplatte mit verschiedensten Tierarten in paradiesi schem Frieden
vereint, darunter ein ähnlicher Löwe (heute Bayerisches Nationalmuseum,
München).
Dessertteller mit Chinoiserien in Imitation ostasiatischer Lackarbeiten
Kaiserliche Porzellanmanufaktur, Wien, um 1805
Kaffeetasse in "Campaner"- Form mit Untertasse und Chinoiserien in
Imitation chinesischer Rotlackarbeiten
Kaiserliche Porzellanmanufaktur, Wien, um 1801
Kratervase mit Sockel
Kaiserliche Manufaktur, Wien, um 1828
Sammlungen des Fürsten von und zu Liechtenstein, Vaduz-Wien
Meerkatze
Kaiserliche Porzellanmanufaktur, Wien, 1847
Eine Vorliebe für exotische Interieurs, Kleidung und Haustiere ist
zeittypisch für das 19. Jahrhundert, genährt von Reiseberichten, der
ästhetischen Neuheit und der Abenteuerlust sowie nicht zuletzt von der
Kolonialisierung und dem verhängnisvollen Anspruch, sich ferne Länder,
ihre Natur und ihre Völker anzueignen. Die "Mode", wilde Tiere zu
halten, findet ihren Widerhall in sorgfältig nach der Natur studierten
Tierdarstellungen in Porzellan.
Kakadu
Kaiserliche Porzellanmanufaktur, Wien, um 1848
Butterdose in Form einer liegenden Kuh
Kaiserliche Porzellanmanufaktur, Wien, um 1851
Tierdarstellungen gehören zu den beliebtesten Themen des Porzellans.
Hier verbindet sich das Modell der freundlichen Kuh mit ihrer Funktion
als Butterdose. Spielereien dieser Art waren typisch für die Mitte des
19. Jahrhunderts, als die einst barocke Kunst des trompe l'oeil wieder
aufgenommen wurde und für Amüsement auf dem Tisch sorgte.
Das Kaiserpaar Franz Joseph I. und Elisabeth "Sisi'
Kaiserliche Porzellanmanufaktur, Wien, 1854
Anlässlich der Vermählung am 20. April 1854 schuf die kaiserliche
Porzellanmanufaktur Miniaturporträts des bejubelten Kaiserpaares Franz
Joseph I. (1830-1916) und seiner Cousine Elisabeth ,Sisi' (1837-1898)
als populäre Souvenirs einer verheißungsvollen Verbindung zweier junger
Menschen der Häuser Habsburg und Wittelsbach. Büsten berühmter
Persönlichkeiten wurden üblicherweise in bürgerlichen Haushalten
aufgestellt. Kaiserin Elisabeth war, so die Meinung ihrer Zeit, die
schönste Frau der Welt.
Großes Service mit Silhouetten der kaiserlichen Familie
Kaiserliche Porzellanmanufaktur, Wien, 1800-1802 Reinhold Hofstätter
Privatstiftung
Die erhaltenen Teile des Dessertservices aus kaiserlichem Besitz sind
ein bedeutendes Dokument seiner turbulenten Entstehungszeit, der Jahre
1800-1802. Vergiẞmeinnichtblüten ranken sich um Silhouetten und
Monogramme der Familie rund um Kaiser Franz I. (II.), seine Schwester,
Königin Maria Carolina und seinen Neffen, Großherzog Ferdinand III. von
Toskana, die mit ihren Kindern Zuflucht in Wien suchten. Maria Carolina
verbrachte diese Jahre in ihrem geliebten Schönbrunn, voller
Erinnerungen an ihre Mutter Maria Theresia. Sie bestellte eine Reihe
von Porzellanen als Ausdruck ihrer engen Familienbande in sorgenvollen
Zeiten des Umbruchs. Es kann davon ausgegangen werden, dass auch dieses
Service von ihr bestellt und mit nach Neapel zurückkehrte.
Einige ergänzte Teile sind in der dortigen Manufaktur entstanden. Zum
Service gehörend haben sich zwei große Aufbewahrungs- und Reisekoffer
erhalten, das Leder ist mit dem Namen der späteren Besitzerin geprägt:
S.M: LA REINE MARIE AMÉLIE, jener Tochter Maria Carolinas, und Tante
Leopoldinas, die 1808 mit Louis Philippe von Orléans vermählt wurde.
Aus Frankreich gelangte es über den Kunsthandel nach Österreich zurück.
Silhouetten waren nicht nur sentimentale Souvenirs, sondern auch von
Interesse für die damals bewunderte neue Wissenschaft der Physiognomie.
Als willkommener und vergnüglicher Zeitvertreib veranstaltete die
kaiserliche Familie des öfteren Schattenspiele und übte sich in
Scherenschnitten.
PHANTASTISCHER REALISMUS AUF PORZELLAN
Wolfgang Hutter ist Gründungsmitglied der Wiener Schule des
Phantastischen Realismus. Die visionären Welten dieser surrealistischen
Strömung sind mit malerischer und technischer Perfektion ausgeführt.
Zwischen traumhafter Poesie und apokalyptischer Ahnung pendeln die
detailreichen Darstellungen mit ihrer fein nuancierten Farbigkeit. Eine
erste bedeutende Ausstellung im Wiener Belvedere im Jahr 1959 verhalf
der nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten Gruppe zu ihrem
internationalen Durchbruch, Anlässlich der Triennale in Mailand
gestaltete Wolfgang Hutter im Jahr 1954 unter anderem die Bemalung
einer Platte für die Porzellanmanufaktur
Augarten.
Arik Brauer ist ebenfalls Gründungsmitglied und auch einer der
Hauptvertreter des Phantastischen Realismus. Er studierte, wie Wolfgang
Hutter, bei dessen Vater Albert Paris Gütersloh an der Akademie der
Bildenden Künste. Während seiner Zusammenarbeit mit der
Porzellanmanufaktur Augarten entstanden Dekore für ein Kaffee- und
Teeservice (1991) und Schachfiguren (1992) sowie Vasen und Teller, die
seinem märchenhaften Kosmos entstammen und auf dem schimmernden Weiß
des Stoffes Porzellan zu eigener Wirkung gelangen. Die auf Porzellan
notwendige Feinmalerei findet ihr Pendant in den stilistischen
Ansprüchen des Phantastischen Realismus.
Erzherzogin Leopoldina von Österreich (1797-1826)
Elias Hütter (1774-1865), zugeschrieben Biscuitporzellan, Sockel mit
Leithnerblau und Golddekor, Bossierer F (Albert Lehrl)
Kaiserliche Porzellanmanufaktur, Wien, 1814
Museum St. Peter an der Sperr, Wiener Neustadt
Als Schüler der Akademie und des geehrten Modellmeisters der
Manufaktur, des Bildhauers Anton, Grassi gehörte Elias Hütter zu den
herausragenden Modelleuren der Wiener Porzellanmanufaktur. Er
porträtierte in den ersten Dekaden des 19. Jahrhunderts zahlreiche
Mitglieder des Kaiserhauses. Die Büste Leopoldinas zeigt die Stärken
Hütters in der subtilen und sinnlichen Darstellung der Gesichtszüge und
einem gestalterischen Spiel zwischen Details und Einfachheit.
DIE NEUE KLARHEIT
Der Elan des Wiederaufbaus brachte auch einen Aufschwung der
Porzellanproduktion. Im Laufe der 1950er und frühen 1960er Jahre
entstanden Verkaufsfilialen der Firma Augarten in Linz, Salzburg, Wien
und Bad Gastein. Der Firmenname wurde in "Wiener Porzellanmanufaktur
Augarten Aktiengesellschaft zur Erneuerung und Fortsetzung der
vormaligen Staatlichen (Aerarial-) Porzellanmanufaktur Wien" geändert.
Die Verwendung des Begriffes "Manufaktur" ist bezeichnend für eine
Zeit, die ihre Identität neu definiert und sich daher auf alte
Traditionen stützt. Historische Formen und Dekore gehörten zum
Hauptaugenmerk der Manufaktur, doch verpflichteten sich einzelne
Entwerfer der Manufaktur auch dem Wunsch nach Erneuerung. Das Design
der 1950er und 1960er Jahre wird neben den Dekoren des damaligen
Malereileiters Edwin Breideneichen vor allem durch die Arbeiten von
Ursula Klasmann in seiner harmonischen und schnörkellosen Klarheit
ausdrucksvoll repräsentiert. Von 1950-54 studierte sie bei Oswald
Haerdtl an der Akademie für angewandte Kunst in Wien, zwischen 1955 und
1985 war sie für die Wiener Porzellanmanufaktur Augarten als
künstlerische Mitarbeiterin tätig. Von Verpackungspapier bis zu den
modischen Rauchsets vertritt Ursula Klasmann die Modernität ihrer
Epoche mit reduzierten Formen und graphischen Dekoren, die in
schlichtem Schwarz, leuchtendem Rot oder in Pastelltönen ausgeführt
sind. Ihr Speiseservice der Form 75 wurde 1960 bei der Triennale in
Mailand präsentiert, 1965 erzielte es eine Auszeichnung bei der
Münchner Handwerksmesse. 2009 wurde es wieder aufgelegt und in seiner
Zeitlosigkeit bestätigt.
KUNST UND DESIGN DER GEGENWART
Immer wieder erstellen Künstler bei Augarten Unikate. Künstler und
Designer entwerfen aber auch Formen und Dekore, die in die Produktion
der Manufaktur aufgenommen werden.
Unter den Porzellanplastiken von Gundi Dietz sind Frauenfiguren, die
mit „Würde und Wunden" der menschlichen Befindlichkeiten dargestellt
sind. Jede Glätte des Werkstoffs Porzellan ist zugunsten einer
unverblümten Expressivität aufgehoben.
Kurt Spurey schuf von 2002 bis 2004 als „Artist in Residence" an der
Manufaktur Augarten Skulpturen, die den oft unsanften Prozess der
Porzellanherstellung einbeziehen. Risse, Fingerabdrücke und andere
Spuren bleiben in der Serie „Porcelain brut" nachvollziehbar. Die Vasen
„Vexations" von Gregor Schmoll entstanden vor dem Hintergrund der
Charakterköpfe des spätbarocken Bildhauers Franz Xaver Messerschmidt.
So enthalten die Silhouetten der Vasen Profile der eigenen
Physiognomiestudien des Künstlers, die erst auf den zweiten Blick als
Vexierbilder sichtbar werden.
Seit den 1960er Jahren etablierte sich der Begriff „Design“ als
bewusste Gestaltung eines funktionalen Objektes. Für Designer im
Bereich Porzellan sind die Grenzen fließend, das funktionale Entwerfen
wird um die Dimension des Künstlerisch-Experimentellen, inspiriert
durch die Intensität der Bearbeitungsphasen, erweitert. Philipp Bruni,
Marco Dessi, Thomas Feichtner, Katharina Ilieff und Gottfried Palatin
haben in den letzten Jahren wesentlich zur Ausformung einer
zeitgenössischen Identität der Marke Augarten beigetragen. Mit
„Augarten brennt!" setzte die Manufaktur 2009 ein Zeichen, indem Street
Art als nicht etablierte Kunstform auf den traditionellen Werkstoff
Porzellan traf.
Wem der viele Text zu lange war und lieber Bewegtbilder mit Musik mag,
kann sich gerne dieses Video antun: