Listwjanka

Das Fischerdorf am Baikalsee, September 2018

Der Baikalsee (oft nur Baikal genannt) ist ein See in Sibirien. Er ist mit 1642 Metern der tiefste und mit mehr als 25 Millionen Jahren der älteste Süßwassersee der Erde. Um ihn zu besuchen, kommt man am Fischerdorf Listwjanka nicht vorbei. Das liegt 70 km von Irkutsk entfernt am Seeufer beim Abfluss der Angara.

1996 wurde die Baikal-Region von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt. Um die ersten Eindrücke mit Fachwissen zu ergänzen, geht es vorerst in die sehr interessanten Schauräume des örtlilchen Museums.

Das Baikal-Museum (vollständiger Name: Baikal-Museum beim Irkutsker Wissenschaftszentrum der sibirischen Abteilung der Russischen Akademie der Wissenschaften) ist ein russisches, öffentliches und nichtkommerzielles Naturkundemuseum. Es beleuchtet den Baikalsee mit seiner Flora und Fauna aus allen wissenschaftlichen Blickwinkeln und ist eines von weltweit drei Museen, die sich ausschließlich einem See widmen.

Die 'Angara' - hier als Modell - ist der älteste Eisbrecher der Welt wurde erstmals im Jahr 1900 eingesetzt. Gebaut wurde das Schiff in New Castle im Auftrag des Komitees zum Bau der sibirischen Eisenbahn. Während der Gleisarbeiten wurden Wagons mit einem Dampfschiff transportiert, dessen Weg der Eisbrecher freimachte. Die 'Angara' war bis zum Anfang der sechziger Jahre im Einsatz. 2015 eröffnete das Heimatmuseum des Verwaltungsgebiets Irkutsk eine Ausstellung im Schiff, die seiner Geschichte sowie der Schifffahrt auf dem Baikalsee gewidmet ist. Mein Reiseverlauf hat es leider nicht ermöglicht dieses Museumsschiff im Hafen von Irkutsk zu besichtigen.

Die erste Ausstellung, die den Anfängen des Lebens und Studien des Baikalsees gewidmet war, wurde 1925 gleichzeitig mit der Organisation der Baikal-Expedition der Russischen Akademie der Wissenschaft entwickelt. So sieht der See im Querschnitt aus. Die Lichtflecken sind Reflexionen der Deckenleuchten.

Der Omul oder Baikal-Omul (Coregonus migratorius) ist ein Vertreter der artenreichen Gattung Coregonus innerhalb der Lachsfische (Salmonidae). Er lebt ausschließlich im Baikalsee sowie in einigen angeschlossenen Gewässern. Entsprechend handelt es sich um eine endemische Art der Region. Seit Monaten freue ich mich darauf ihn am lokalen Fischmarkt geräuchert kennenzulernen.

Neben Flora und Fauna wird auch die technische Seite bei der Seeerforschung gezeigt.

Elf limnologische Aquarien zeigen, annähernd natürlich, die Unterwasserwelt des Baikal. Die Wassertemperatur wird durch Pumpen, die die Flüssigkeit viermal pro Tag aus einer Tiefe von 500 m fördern, konstant bei 4 Grad gehalten.

Zwei Baikalrobben - die einzige nur im Süßwasser vorkommende Robbenart - leben in zwei miteinander verbundenen Räumen mit Eisschollen. Die flitzen so schnell durchs Wasser, dass Fotos davon nur Erinnerungswert haben.

Endlich Fischmarkt! Auch hier wird immer die Temperatur angezeigt. Da ist sogar das Wasser des Baikal wärmer. An der Oberfläche aktuell 11°C.

Etwa zwei Drittel der rund 1500 Tier- und 1000 Pflanzenarten sind endemisch, kommen also ausschließlich hier vor. Da der See stetig tiefer wird, hatten die Tiere viel Zeit zur Anpassung, weswegen auch in 1,6 km Tiefe ein hoher Artenreichtum anzutreffen ist.

Der Omul, eine Maränenart, und die Golomjanki, die am tiefsten vorkommenden Süßwasserfische der Erde, kommen ebenfalls hier vor. Möglich wird dies unter anderem auch durch die niedrige Wassertemperatur des Sees, die an der Oberfläche im Jahresmittel nur etwa 7 °C beträgt.

Und gegessen wird vor Ort so:
Der Omul wird (wie bei uns der Leberkäs) ständig warm gehalten und ist daher an der Budl gar nicht zu sehen, weil in einer Warmhaltebox versteckt. Der Käufer bekommt den ganzen Fisch in ein Plastiksackerl gesteckt und dazu ein Fladenbrot.
Sitzgelegenheit findet man im nächsten Kaffeehaus. Besteck gibts keines dazu. Teller ebenso wenig. Immerhin wird der Tee im Häferl serviert.
Wer Zucker mit Salz verwechselt - beides in der offenen Schale ohne Beschriftung am Tisch - bekommt amüsante Geschmackserlebnisse. Also amüsant für die Tischnachbarn.
Und wer das feuchte Reinigungstuch von der Flugzeugkost noch eingesteckt hat, ist nun sowieso der fettfingerfreie King!

Direkt vor dem Hotel liegt die Zacharia vor Anker. Sie ist nicht nur ein gutes Motiv, sondern wird am nächsten Tag für die Ausflugsfahrt am See sorgen.

Das obligate Hotelbild: Das Mayak Hotel an der Uferstraße Ulitsa Gorkogo hat freien und sensationellen Ausblick auf den Baikal, fantastisches Essen, adrettes Personal und eine offene Dachterrasse im 7. Stock.

Die Zimmer sind aberwitzig-winzig klein, beim Einzug mit dem Koffer muss man zuerst das Bett verschieben, zur Kofferöffnung sowieso. Ich denke, da wurde irgendwann von einer Suite in zwei Abstellräume geteilt. Die Türschwelle wurde mit einer Staffel beglückt, also muss man sein Gepäck auch noch drüberheben.

Da ich zuerst ein Zimmer mit Bergblick zugewiesen bekam, durfte mich der Consierge umgehend mit der Umquartierung an die Seeseite glücklich machen. Das Stativ hat auch auf diesem Fensterbrett Platz gefunden. Sehr nett!

Schlechtwetter hin oder her - der Fernblick kann was.

Jetzt mal Fakten: Der Baikalsee ist mit 1642 Meter der tiefste See der Erde. Seine auf 455,5 m Höhe über dem Meeresspiegel gelegene Wasseroberfläche ist 31.700 km² groß. Der See besitzt eine Uferlänge von rund 2125 km, ist vom Südwesten zum Nordosten 673 km lang (Mittellinie des Baikals) und maximal 82 km breit. Seine durchschnittliche Breite beträgt 48 km.

Listwjanka ist eine Siedlung städtischen Typs nahe der Stelle, an der die Angara dem Baikalsee entfließt. Sie hat 1900 Einwohner. Ihren Namen hat die Siedlung den vielen Lärchen (russ.: listwenniza) zu verdanken, die in der Gegend wachsen. Der 1773 erstmals als Poststelle beziehungsweise Fährplatz erwähnte Ort ist vor allem von Intourist zum Touristenort aufgebaut worden. Nach der Vision der Bürgermeisterin, Tatjana Wassiljewna Kasakowa, soll hier Baikal City entstehen.

Die Firma Intourist ist die ehemals staatliche Monopol-Reiseagentur für den Auslandsfremdenverkehr, die 1929 in der Sowjetunion gegründet wurde. Heute führt Intourist unter anderem noch 144 Reisebüros und viele Hotels in Russland.

Listwjanka erstreckt sich über nahezu 5 km entlang der Angara und ist derzeit von einer wahren Bauwut geprägt. Überall errichten sogenannte "Neue Russen" kleine Paläste als Ferienhäuser, als auch neue Hotels und Restaurants.

Der Ort selbst liegt am Ursprung der 1779 Kilometer langen Angara, dem einzigen Abfluss aus dem Baikalsee. Dies ist auch das einzige wirkliche Highlight des Ortes.

Das beste Hotel am Platz von einem ziemlich aufdringlichen Werbedisplay 'verstrahlt'.

Der Baikal bildet das größte Reservoir flüssigen Süßwassers der Erde mit einem Fünftel der flüssigen Süßwasserreserven. Der See hat ein Volumen von 24.000 km³, welches damit größer ist als das der Ostsee und etwa dem 480-fachen Wasserinhalt des Bodensees entspricht.

Blick in den Osten über den Baikal nach Burjatien. Das ist eine Republik in Russland mit der Hauptstadt Ulan-Ude (Endstation der Transsib Zug #82).

Zu den Hochgebirgen, die den See umrahmen, zählen das Baikalgebirge am West- und Nordwestufer, das Stanowoihochland im Nordosten, das Bargusingebirge und das Ulan-Burgassy-Gebirge am Ostufer, das Chamar-Daban-Gebirge im Süden sowie der Ostsajan, der sich südwestlich des Sees erhebt.

Noch gibt es sie, die typische Architektur der Holzhäuser mit bunten, geschnitzten Fensterrahmen.

Es folgt eine Auswahl der ursprünglichen Behausungen, deren Werte vom Energieausweis ich lieber nicht wissen will.

Das ist jetzt nicht einfach nur ein Museumsdorf, diese Schuppen sind wirklich alle bewohnt. Nachdem immer mehr Investments für Nobelhütten, Luxusunterkünfte und sonstige hochpreisige Behausungen aus dem Boden schießen, wird genau das, was den Charme des Ortes ausmacht, in absehbarer Zeit verschwinden.

Minikapelle mit Wachhund.

Sieht hier verdächtig nach Kältebrücke aus.

Soweit dieser kurze Spaziergang durch das Fischerdorf Listvyanka.

Merklich viele Fahrzeuge sind mit Rechtslenker ausgestattet. Der Chauffeur weiß Bescheid: Der Autoimport aus dem Osten ist deutlich billiger, als aus Russlands Westen. Darum sind deutlich weniger PKW mit Linkslenker zu sehen. Das Verhältnis wird auf 60:40 geschätzt.

Die kleine Dorfkirche von Listwijanka hat eine recht wechselvolle Geschichte hinter sich. Einer Legende aus dem 19. Jahrhundert nach, war der russische Kaufmann Xenofont Serebjakov auf der Durchreise am Baikal unterwegs, als sein Schiff aufgrund eines Unfalls seeuntüchtig wurde. Für Serebjakov gab es zur damaligen Zeit jedoch keine Alternativen zum Schiff, so dass er auf unbestimmte Zeit in Listwijanka fest saß.
Er gab jedoch nicht auf, betete für seinen Schutz zu St. Nikolai, dem Schutzheiligen der Seefahrer. Einem Wunder gleich erschien St. Nikolai vor den Augen von Serebjakov und half ihm ein Schiff zu finden.

Aus Dankbarkeit begann Serebjakov an der Quelle der Angara die kleine Holzkirche zu errichten. Allerdings erlebte Xenofont Serebjakov die Fertigstellung der Kirche nicht mehr. Seine Frau Natalja trieb den Bau jedoch voran und so konnte diese 1846 geweiht werden.

Wenige Jahre später wurde die Kirche St. Nikolaus an die Küste des Baikalsees versetzt, und bereits 1957 musste die Kirche erneut ihren Standort wechseln. Mit dem Bau des Wasserkraftwerkes in Irkutsk stieg der Pegel des Baikalsees, daher wurde die Kirche im sicheren Krestovskij Tal wieder errichtet.

Trotz aller Ortswechsel wurde die Kirche von gläubigen Russen und Mongolen genutzt. Berühmt wurde sie aber erst als Schauplatz für den Film "Swesda Plenitelnowo Stschastja" über die Geschichte der Dekabristen am Baikalsee.

Im Gegensatz zum dem Schicksal vieler anderer Kirchen in der ehemaligen Sowjetunion überstand die Kirche St. Nikolaus die Entchristianisierung während der Zeit des Kommunismus und wurde in den 50er Jahren sogar komplett restauriert. Neben den originalen Ikonen aus dem 18. Jahrhundert wurden bei dieser Gelegenheit auch viele Ikonen aus Irkutsker Kirchen hierher ausgelagert.

Auch heute gibt es sonntags sowie an Feiertagen noch reguläre Gottesdienste und bei Brautpaaren ist sie sehr beliebt.

Der Kirchengarten ist nicht minder bunt ausgestattet, zB mit Zierkohl.

Bei einer Bootstour am Weltnaturerbe Baikalsee wird eine Stunde übers Wasser geschippert. Angeblich ist das Wasser so klar, dass die Sichttiefe bis zu 43 Meter beträgt. Kann ich nicht ansatzweise bestätigen.

Es ist jedenfalls ganz angenehm wieder schwankenden Boden zu spüren, immerhin ist die Fahrt mit der Transsib schon einen Tag her. Was für ein vertrautes Gefühl!

Die Zeit wird lang an Deck. Ein Blick auf den Ankermotor bietet sich an.

Ist schon nachvollziehbar, warum ich lieber den Seeblick als nur Bäume wollte, oder?

Zum Abschied gibt es den Besuch in einem typisch sibirischen Restaurant namens Proshly Vek in Listvyanka.

Als angenehmer Gast kann ich auch am Proshly Wek nichts aussetzen.
Als Speisenfolge gibt es unter anderem Borscht und Omul am Spieß. Geräuchert war er besser.
Die museale Ausgestaltung des Lokals finde ich dafür höchst interessant.

Eine der Sehenswürdigkeiten des Dorfes ist der Schamanen-Felsen (Schamanski kamen oder Schaman-kamen) mitten in der Angara. Um ihn rankt sich eine Legende vom alten Vater Baikal und seiner Tochter Angara.

Eine Legende besagt, dass der alte Baikal seine einzige Tochter Angara über alles liebte. Als sie sich eines Tages zu ihrem Geliebten Jenissei flüchtete, warf der Vater aus Zorn einen großen Stein nach ihr. Dieser auch Schamanenstein genannte Fels ragt bei Listwjanka aus dem Wasser und markiert die Grenze zwischen Baikal und Angara.

Die Angara wird auch als einzige Tochter des Baikal bezeichnet, da sie heute dessen einziger Abfluss ist, Söhne in Form von Zuflüssen hat der Baikal durch 336 Flüsse und unzählige Bäche.

Und falls wer wissen will, wie der Omul nun schmeckt: Nicht außergewöhnlich, er hat keinen speziellen Geschmack. Eigens dafür anzureisen wäre übertrieben.

Und damit wäre zu Listwjanka alles gesagt.



Wem der viele Text zu lange war und lieber Bewegtbilder mit Musik mag, kann sich gerne dieses Video antun: